Das Projekt untersucht Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten der EU im Gefolge einer Harmonisierung durch EU-Richtlinien auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts. Dabei wird ein Erklärungsansatz verwendet, der das Recht als ein evolvierendes, autopoietisches System versteht. Die Wechselwirkungen zwischen EU-Richtlinien und den nationalen Rechten sind ein komplexes Phänomen. Strukturen der nationalen Rechtsdogmatik beeinflussen das Verständnis der Juristen in den verschiedenen Rechtsordnungen hinsichtlich des Inhalts der Richtlinien. Jede Richtlinie lässt unterschiedliche Interpretationen zu, nicht zuletzt wegen der 11 Amtssprachen. Schon bei der Umsetzung entscheidet sich der nationale Gesetzgeber für bestimmte Formulierungen. Danach werden weitere Auslegungsfragen durch Rechtsprechung und Lehre geklärt. Entscheidend ist, dass diese Weichenstellungen nicht willkürlich erfolgen, sondern abhängig sind von vorhandenen Rechtsvorstellungen unter den Juristen in der betreffenden Rechtsordnung. Durch diesen Prozess kann jede Rechtsordnung, in gewissem Umfang, ihre innere Kohärenz erhalten, aber gleichzeitig wird der Harmonisierungseffekt der Richtlinie abgeschwächt.
Das Projekt wird derartige Unterschiede im Gefolge einer Harmonisierungsmaßnahme systematisch erfassen (und zwar mit Schwerpunkt England und Deutschland). Durch den Blick auf nationale Rechtsprechung kann im Sinne einer Innenperspektive heraus gearbeitet werden, warum Juristen in einer Rechtsordnung in einem Bereich, der eigentlich harmonisiert sein sollte, weiterhin Auslegungsfragen diskutieren, während Juristen in anderen Rechtsordnungen damit kein Problem zu haben scheinen.
Das Projekt stellt tief verwurzelte Grundhaltungen in der Debatte über die europäische Rechtsharmonisierung in Frage, nämlich das Ideal der Kodifikation bzw. den Glauben an spontane Konvergenz und auch die funktionale Methode der Rechtsvergleichung mit ihrem Bestreben, sich vom rechtsdogmatischen Diskurs zu lösen.