Exportieren österreichische Unternehmen Arbeitsplätze nach Osteuropa?

Publikation: Wissenschaftliche FachzeitschriftOriginalbeitrag in FachzeitschriftBegutachtung

Abstract

Dieser Artikel hatte das Ziel, Auswirkungen der Ostöffnung auf die österreichische Wirtschaft theoretisch und empirisch zu beleuchten. Das Ergebnis ist, daß die Auswirkungen vielfältig sind und daher weder exakt quantifiziert noch gegeneinander saldiert werden können. Die Analyse der Fallstudien von zwölf österreichischen Ostinvestoren hat in der Tendenz positive Wirkungen für Österreich sowohl auf der Zahlungsbilanz- als auch auf der Beschäftigungsseite ergeben. Es hat sich insbesondere gezeigt, daß die in der öffentlichen Diskussion immer wieder unterstellte "klassische Verlagerung" von Produktionsaktivitäten in das Ausland bei gleichzeitigem Beschäftigungsabbau im Inland kaum relevant ist. Statt dessen wurden je nach Branchenzugehörigkeit, Produktionsweise, Produkt etc. verschiedene "Verlagerungstypen" festgestellt, die in den meisten Fällen zu komplementären Wirkungen bei Exporten und Beschäftigung führen. Obwohl sich alle zwölf analysierten Unternehmen in ihrer Struktur stark voneinander unterscheiden, können einige verallgemeinerbare Schlußfolgerungen getroffen werden: Für alle österreichischen Unternehmen ergab sich aufgrund der raschen Änderungen der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Jahr 1989 eine völlig neue Situation. Die Öffnung der mittel- und osteuropäischen Märkte bot den heimischen Unternehmen weitreichende Expansionsmöglichkeiten. Diese wurden zumeist gleichzeitig mit erhöhten Exporten und verstärkten Direktinvestitionen genutzt. So wiesen nahezu alle in unserem Sampie erfaßten Unternehmen sowohl im österreichischen Mutterunternehmen als auch in den ausländischen Tochterunternehmen eine zufriedenstellende Ertrags- und Beschäftigungsentwicklung auf. Die geringe geographische Distanz sowie die enge kulturelle und historische Bindung Österreichs zu seinen mittel- und osteuropäischen Nachbarstaaten und die damit verbundenen geringen Transport- und Transaktionskosten ermöglichten es auch kleinen und mittleren Unternehmen, einen (vielfach ersten) Schritt in das Ausland zu unternehmen. Die Bedeutung der Markterweiterung gilt insbesondere für die untersuchten Dienstleistungs- und Bauunternehmen. Eines der größeren Unternehmen bezeichnete seine Aktivitäten in MOE in diesem Zusammenhang schlicht als 'Erweiterung des Heimmarktes'! Im Produktionssektor ist in der Regel eine Kombination von Markt- und Kostenmotiven vorzufinden. Hier war neben der Versorgung lokaler Märkte (Nahrungsmittel, Metall) auch eine stärkere Exportorientierung der Tochterunternehmen festzustellen (Textil, Metall). Aufgrund der Bedeutung der lokalen Märkte für den Großteil dieser Investitionen sind auch die Beschäftigungseffekte in Österreich entsprechend positiv. Negative Beschäftigungseffekte durch direkte Verlagerungen und entsprechende (Re-)Importe sind in unseren Fallstudien nur von geringer Bedeutung. Unmittelbar positive Beschäftigungseffekte zeigten sich vor allem in jenen Unternehmensbereichen, welche für die Organisation und Kontrolle des Auslandsengagements zuständig waren (Control-ling, Marketing, Management, F&E). Mit Ausnahme des Handelsunternehmens waren jedoch die direkten Beschäftigungseffekte, welche sich durch zusätzliche Exporte und/oder die Lieferung von Vor- und Zwischenprodukten ergaben, gering. Obwohl sich für mehrere der untersuchten Unternehmen durch deren Ostengagement auch
eine Ertragsverbesserung des Mutterunternehmens ergab, können die dadurch bewirkten Beschäftigungseffekte kaum quantifiziert werden. Somit ergeben sich insgesamt leicht positive bzw. neutrale Beschäftigungseffekte in Osterreich. Positiv betroffen waren dabei vor allem höher qualifizierte Arbeitskräfte - und zwar im Dienstleistungs- und im industriellen Sektor. Ob sich dieses positive Gesamtbild, wie in manchen Studien vermutet wird (26), in Zukunft in eine zunehmend substitutive Beziehung von Direktinvestitionen und Exporten (welche negative Effekte für die Beschäftigung und die Leistungsbilanz in Osterreich impliziert) transformieren wird, kann noch nicht vorausgesagt werden. Einerseits würde ein weiterer wirtschaftlicher Aufschwung der östlichen Nachbarstaaten Österreichs verstärkt exportorientierte Unternehmen zur Ansiedlung dort bewegen, und gleichzeitig würden auch verstärkte Lieferungen von Vorleistungen durch in MOE ansässige Tochterunternehmen erfolgen. Dadurch ergäben sich entsprechend negative Effekte auf die heimische Leistungsbilanz und Beschäftigung. Andererseits würde die weitere Entwicklung der MOEL aber auch eine entsprechende Erhöhung der lokalen Kaufkraft bewirken, welche sich wiederum positiv auf Österreichs Exporte nach MOE auswirken wird. Die Nettoeffekte einer derartigen Entwicklung können nur schwer abgeschätzt
werden. Hier muß nochmals betont werden, daß solche Entwicklungen typischerweise zwar intersektorale und interregionale Gewinner und Verlierer verursachen, insgesamt jedoch für beide Seiten von Vorteil sein können. Wenngleich somit die Gesamteinschätzung der bisherigen Entwicklung positiv ist, muß abschließend auch betont werden, daß verteilungspolitische Fragen an Brisanz gewinnen werden. In diesem Sinne sollte auch die eingangs gezeigte Abbildung interpretiert werden. Der Beschäftigungsabbau der dreißig größten Unternehmen im Inland bei gleichzeitigem Aufbau von Beschäftigung im Ausland deutet nicht zwingend auf ein substitutives Verhältnis hin. Eher ist der Schluß
gerechtfertigt, daß sich diese Unternehmen sehr dynamisch verhalten und neue Chancen, die eben vermehrt im Direktengagement auf internationalen Märkten liegen, wahrnehmen. Der Beschäftigungsabbau im Inland kann dabei auf den üblichen Beschäftigungsabbau der Industrie (d.h. diese Beschäftigung wäre auch größtenteils 0 h n eden Beschäftigungsaufbau im Ausland abgebaut worden) zurückgeführt werden. Die Tatsache, daß der Beschäftigungsabbau stärker als jener der Gesamtindustrie ist, zeigt, daß offenbar Rationalisierungspotentiale von den Großunternehmen stärker genutzt werden. Dies ist konsistent mit dem verstärkten Auslandsengagement, welches über den internationalen Wettbewerbsdruck zum verstärkten Strukturwandel beiträgt. Unsere Analyse, vor allem auf theoretischer Ebene, legt darüber hinaus auch nahe, daß die Wirkungen der Ostöffnung nicht mit jenen der Osterweiterung gleichgesetzt werden dürfen. Während die ersten Wirkungen mittels partialanalytischer Modelle des Handels und der Kapitalströme analysiert wurden, sind letztere Wirkungen nur durch komplexere Modelle festzustellen, welche auch die Faktormobilität von Arbeit und spezifischen Produktionsfaktoren im Bereich der Dienstleistungen mit einbeziehen. Ostöffnung und Osterweiterung stellen zwei unterschiedliche Typen der Integration dar, wobei die Osterweiterung die zusätzlichen Dimensionen der Dienstleistungsfreiheit und der Niederlassungsfreiheit umfaßt. Ob diese beiden Faktoren die Zahlungsbilanz- und Beschäftigungswirkungen in nennenswertem Ausmaß verändern werden, wird derzeit noch widersprüchlich beantwortet (27).
OriginalspracheDeutsch
Seiten (von - bis)475-502
Seitenumfang28
FachzeitschriftWirtschaft und Gesellschaft
Jahrgang24. Jahrgang
Ausgabenummer4
PublikationsstatusVeröffentlicht - 1998

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