Editorial: Die Macht von Unternehmen im neoliberalen Kapitalismus

Christian Bellak, Christian Reiner

Publication: Scientific journalJournal articlepeer-review

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Abstract

Die sieben Beiträge zum Schwerpunktthema des Heftes versuchen die verschiedenen Dimensionen der Macht von Unternehmen zu identifizieren und zu interpretieren Herausgekommen ist eine ausgewogene Mischung entlang verschiedener Dimensionen. Zunächst einmal sind die AutorInnen verschiedenen disziplinären und beruflichen Hintergründen zuzuordnen Betriebs- und Volkswirtschaftslehre, Soziologie und Rechtswissenschaften bilden den interdisziplinären Zuschnitt des Heftes ab Dies ist im Übrigen auch das Ergebnis einer (zu) geringen Reflexion dieses Themas in der Zunft akademischer ÖkonomInnen Anders formuliert: Die Suche nach ÖkonomInnen erwies sich zum Teil als unerwartet schwierig, bedenkt man die Relevanz und Aktualität des Themas Macht von Unternehmen Neben theoretisch-konzeptuellen Zugängen (Herrmann, Disslbacher, Pauser) stehen stärker empirisch orientierte Aufsätze (Adam, Reh, Stöllinger) Mikroökonomischen bzw sektoralen Perspektiven (Reh, Pauser, Stöllinger) stehen makroökonomische und polit-ökonomische Betrachtungen gegenüber (Disslbacher, Jäger/ Reiner) Absatzmarktbezogene Analysen dominieren in den Beiträgen von Pauser und Stöllinger, während Adam die Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt untersucht Wirtschaftspolitische Reflexionen finden sich zwar in mehreren Beiträgen, aber vor allem im Aufsatz zur Wettbewerbspolitik der EU von Jäger/ Reiner Im Folgenden werden die einzelnen Beiträge kurz erörtert und zentrale Aspekte hervorgehoben. Die ökonomische Theorieentwicklung der letzten Jahrzehnte war trotz des Aufstiegs von globalen Konzernen und einer hochkonzentrierten Finanzwirtschaft nur am Rande mit Fragen der Macht von Unternehmen beschäftigt Daher geht Herrmann in ihrem wirtschaftstheoretischen Beitrag weiter zurück und wird vor allem bei Marx fündig, der inhaltlich und sprachlich viele Dinge auf den Punkt brachte, von der „Expropriation von Kapitalist durch Kapitalist“ bis hin zur „Verwandlung vieler kleinerer in wenige größere Kapitale “ Dem stehen Theorien wie die der Sozialen Marktwirtschaft gegenüber, die zwar einen vollkommenen Konkurrenzmarkt propagieren, aber offenbar bei der wettbewerbspolitischen Umsetzung derselben deutlich schwächer sind, als bei der ideologischen Rechtfertigung bestehender Verhältnisse mit dem Hinweis auf den freiwilligen Tausch zwischen gleich (ohn-)mächtigen Akteuren Keynes hatte wenig zum Thema Marktmacht zu sagen und erst einige Post-Keynesianer schafften eine konzeptuelle Verkoppelung von unternehmerischer Marktmacht und makroökonomischer Performance Einen Zusammenhang von schwindender Gewerkschafts- und steigender Unternehmensmacht ortet Adam in seinem Beitrag aus korporatismustheoretischer Perspektive. Ein wichtiges Argument in diesem Zusammenhang ist, dass „die Internationalisierung, Deregulierung und Liberalisierung der Märkte seit den frühen 1980er Jahren die Macht der Unternehmen – insbesondere der Großunternehmen – derart gestärkt (hat), dass das Interesse der Unternehmen an verbandlicher Organisation und kollektivem Interessenhandeln geschwunden ist “ Aus einer „rent-seeking“ Perspektive erringen einzelne große Unternehmen im Vergleich zu Verbänden damit eine neue gesellschaftliche und ökonomische Macht aufgrund ihrer Investitions- und Standortentscheidungen – eine direkte
Verbindung zu den Beiträgen von Stöllinger und Disslbacher. Der Beitrag von Pauser widmet sich der Frage, welche Strategien von Unternehmen eingesetzt werden um Marktmacht zu erlangen bzw auszubauen Dabei wird auf Ergebnisse aus der betriebswirtschaftlichen Literatur, sowie auf aktuelle, empirische Studien und Forschungsergebnisse zurückgegriffen Für die Diskussion in diesem Heft sind unter anderem die von Pauser aufgezeigten Motivationen der Unternehmen bedeutend, welche diese zu hohen Investitionen in die Verteidigung von Marktanteilen veranlassen. Durch den Aufbau von globalen Produktionsnetzwerken, beschrieben im Beitrag von Stöllinger, hat die wirtschaftliche Macht großer, multinationaler Unternehmen ein Ausmaß erreicht, das sie zu den wichtigsten Akteuren der Weltwirtschaft hat aufsteigen lassen. Einerseits manifestiert sich das über Marktmacht gegenüber Zulieferern und gegenüber Abnehmern in den globalen Produktionsnetzwerken, eine Thematik, die auch im Beitrag von Pauser eine große Rolle spielt Andererseits hat diese große Bedeutung unter anderem zur Folge, dass sie ganz erheblich über das ökonomische Schicksal von Entwicklungs- und Schwellenländern mitentscheiden. Im wirtschaftspolitisch motivierten Aufsatz von Jäger und Reiner wird die Wettbewerbspolitik der EU, die von Anbeginn des Integrationsprojekts eine zentrale Rolle spielte, kritisch unter die Lupe genommen Der Beitrag zeichnet sich vor allem auch dadurch aus, dass über eine enge Interpretation der Wettbewerbspolitik im Sinne von Kartellverbot oder Fusionskontrolle hinaus eine Reflexion über die Effekte des Binnenmarktprojekts erfolgt Der dadurch induzierte Systemwettbewerb wurde vor dem Hintergrund der neoliberalen Wende nicht zuletzt durch eine expansive Auslegungspraxis durch den EuGH befördert Eine Umgestaltung in Richtung kompetitive Regulation des Konkurrenzverhältnisses begünstigte neben einer Wettbewerbsintensivierung auch Konzentrationsprozesse und exportorientierte Kapitalfraktionen
Die Automobilindustrie ist ökonomisch betrachtet eine der wichtigsten Industriebranchen Deutschlands Die Skandale der letzten Zeit und deren polit-ökonomische Bearbeitung sowie Kartellrechtsverletzungsvorwürfe haben einmal mehr deutlich gemacht, wie groß die Machtfülle der Unternehmen dieser Branche ist und wohin dies führen kann
Reh erörtert diese Zusammenhänge für die deutsche Automobilindustrie am Beispiel von Abwrackprämie, einer wenig ambitioniert Elektro-Auto-Förderung, dem Kampf der deutschen Premiumautobauer gegen strengere CO2-Kennwerte sowie dem Dieselskandal, in dem sich die deutsche Regierung einmal mehr hinter „ihre“ Autobauer stellte Trotz der bisherigen betriebswirtschaftlichen Erfolge der deutschen Automobilindustrie bleibt als Befund ein starker Verdacht auf umfassendes Markt-, Politik- und Staatsversagen Der Beitrag von Disslbacher beschäftigt sich mit der Frage, ob gestiegene Monopolmacht Stagnation in industrialisierten Ländern erklären kann Disslbacher rückt dazu die
von Josef Steindl entwickelte theoretische Perspektive in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen und identifiziert Zusammenhänge auf der mikroökonomischen Ebene (Marktmacht) als Erklärungsfaktoren für Stagnation Die dem Wettbewerb inhärente Kraft der Oligopolisierung spielt dabei eine wichtige Rolle.
Original languageGerman
Pages (from-to)3 - 19
Number of pages17
JournalKurswechsel
Volume1
Publication statusPublished - 2018

Austrian Classification of Fields of Science and Technology (ÖFOS)

  • 502046 Economic policy

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